Sonntag, 10. April 2011

Tag 3 - Annäherung


Den nächsten Tag beginnen wir mit einem ausgedehnten Strandspaziergang. Eigentlich wär‘s ja der schönste Platz der Welt: vor uns am südlichen Ende der Orontes-Bucht ragt der wolkenumkränzte Kegel des Dschabal al-Aqra 1.740 Meter hoch auf und markiert die Grenze zu Syrien, hinter uns werden die Ausläufer des Musa Dagh von der Brandung umspült, und dazwischen liegt der längste Sandstrand, den man sich denken kann. Geradezu paradiesisch also, wären da nicht die Zyprioten (die griechischen natürlich!), denn von denen käme doch der ganze Dreck, der den prachtvollen Sandstrand in eine grausige Müllhalde verwandelt. So erklärt es uns zumindest der Fischer, der von einem kleinen Riff seine Angel auswirft und ab und zu einen Istavrit aus dem Wasser zieht.

Fischer und Djebel-Akra
Diese Zyprioten! 
Balik
Mit dem Taxi kehren wir zurück in die Dörfer des Musa Dagh, zunächst wieder zur armenischen Kirche von Vakifli, wo wir unseren Führer für die morgige Tour kennenlernen. Es ist ein armenischer Bauer aus dem Dorf, der uns auf Anhieb sympathisch ist. Eigentlich hätte er gerne einmal ausgeschlafen, erklärt sich aber bereit uns morgen um halb 5 Uhr in der Früh in Seleukia abzuholen. Und ein Hendl sollen wir mitnehmen. Neben der Kirche, die eine umgebaute Seidenfabrik ist, befindet sich der Dorffriedhof, wo sich noch einige alte armenische Gräber, darunter auch jenes des Vaters der Geschwister Babikyan befindet. Sonst finden wir kaum armenische Namen, denn die wurden durch die Türken der typisch armenischen -yan Endung beraubt. Als nächstes besuchen wir Yoghonoluk, jenes Dorf, das in Werfels Roman als der Heimatort Gabriel Bagradians eine so zentrale Stellung einnimmt. Die alte armenische Kirche, in der einst der gregorianische Ter Haigasun gepredigt hatte, existiert noch, allerdings bückt sie sich heut verfallen unter der Last einer Moschee, die über ihr erbaut wurde. Wir kommen gerade recht zum Mittagsgebet und lauschen dem melodischen Ruf des Muezzin. Im nächsten Ort, Bitias, oder Batiayaz, wie es heute heisst, sorgen wir für ziemliche Aufregung, als wir nämlich bei der Schule, wo gerade große Pause ist, mit dem Lehrer ein Interview führen, das in einer hochoffiziellen Führung durch die Schule mit Unterbrechung des Unterrichts ausartet - zum größten Gaudium der Kinder, versteht sich.

Die alte Kirche von Yoghonoluk mit der später darüber errichteten Moschee
Das leer stehende Kirchenschiff
Die Schule von Bitias
Große Aufregung im Klassenzimmer
Inzwischen ist es Nachmittag geworden und wir machen uns auf den Rückweg nach Samandağ, nehmen dabei aber den Umweg über einen Hügel östlich der Stadt, auf dem sich der schon erwähnte Ruinenkomplex des St. Simeonsklosters befindet. Das Kloster wurde im 6. Jhdt. n. Chr. um eine aus dem Fels gehauene Säule gebaut. Von der Säule ist heute nur mehr ein Stumpf übrig, einst war sie aber 18 Meter hoch. Auf dem umgebenden achteckigen Platz konnten die Pilger zuhören, wie der Säulenheilige (oder Stylit) Simon der Ältere gegen die Ungerechtigkeiten in Antiochia und allzu menschliche Schwächen, wie das Verlangen nach einer guten Mahlzeit, wetterte. Er blieb bis zu seinem Tod im Jahre 489 auf ihr hocken. Ihm folgte Simeon der Jüngere nach, der gerade einmal siebenjährig die Säule bestieg und die nächsten 25 Jahre seines Lebens auf ihr verbringen sollte. 

Die Ruinen des St. Simeonsklosters
Das Wohnzimmer der Simeons
Wir kehren zurück nach Samandağ und sehen uns den Cemevi, das Versammlungshaus der Aleviten, an. Die Aleviten sind Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, die eine Glaubensrichtung des Islam darstellt, die sich im 13. Jhdt. verselbstständigt hat. Obwohl die Aleviten etwa 15 bis 30 Prozent der türkischen Bevölkerung ausmachen, sind sie eine nicht anerkannte und diskriminierte Glaubensgruppe. Das Alevitentum ist eine vom Humanismus und Universalismus geprägte Religion, die sich unter anderem durch die Gleichberechtigung von Mann und Frau auszeichnet. Im Zentrum des Glaubens steht der Mensch als eigenverantwortliches Wesen, dem das Göttliche innewohnt.  Der Cemevi ist ein niedriger Kuppelbau, in dessen Zentrum eine weitere Kuppel steht, um welche die Gläubigen im Uhrzeigersinn betend wandeln. An Feiertagen werden hier Kulthandlungen, wie der Semah, ein ritueller Tanz, ausgeführt.  Wir drehen auch ein paar Runden und zünden Weihrauch an, der sich aus mehreren Kohlenbecken betörend im Raum verbreitet. Danach geraten wir unversehens in die rituelle Schlachtung eines Hahns, der für die Gesundung eines Kindes geopfert wurde.
Der Cemevi von Samandağ
Der Doktor und das liebe Vieh
Alter Patriarch
Nach einem guten Çay, den wir in der warmen Nachmittagssonne am Meeresufer schlürfen, beschließen wir den langen Tag mit einem weiten Strandspaziergang zurück zu unserer Pension. Abgesehen von den unglaublichen Mengen an Müll, allem voran Plastik, zieren den ansonsten so wunderschönen Strand monströs große Quallen, die von der Brandung angespült werden, um sich in der Sonne in Wasser aufzulösen. Den ganzen Rückweg ist der Musa Dagh in unserem Blickfeld, der von hier ganz und gar unspektakulär wie ein breiter Hügelrücken aussieht. Es dämmert bereits, als wir schließlich ankommen. Hungrig von der frischen Seeluft machen wir uns wieder mit großem Appetit über die herrlichen Vorspeisen und Fische her, die der armenische Koch erneut für uns gezaubert hat. Dann packen wir schon alles für die morgige Tour und gehen zeitig zu Bett, um ausgeschlafen zu sein.

Çay
Die Hänge des Musa Dagh
Blick zur syrischen Grenze und dem Djebel-akra

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